75 Jahre Max-Planck-Gesellschaft - Grundlagenforschung in Natur-, Geistes- und Sozialwissenschaften an 86 Instituten

Als am 3. Oktober 2022 die Verleihung des Nobelpreises für Medizin an Svante Pääbo bekannt gegeben wurde, war auch in Deutschland die Freude groß. Denn der schwedische Wissenschaftler ist seit 1997 Direktor des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie in Leipzig. Zusammen mit Svante Pääbo haben nun dreißig Mitglieder der Max-Planck-Gesellschaft und ihrer Vorgängerin, der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, die höchste Ehrung für Wissenschaftler erhalten.

Den Anfang machte Richard Willstätter 1915 für seine Forschung über Chlorophyll, also für das, was Blätter grün macht. Der Erfolg der Wissenschaftsorganisation hat auch mit ihrem besonderen Strukturprinzip zu tun. Die verschiedenen Institute werden quasi um einzelne Spitzenforscher „herumgebildet”, die sich, frei von Lehrverpflichtungen und Disziplingrenzen, der Grundlagenforschung widmen können. Dies aber war die Idee des Wissenschaftspolitikers und evangelischen Theologen Adolf von Harnack, des Gründers der Vorgänger-Organisation der Max-Planck-Gesellschaft: Der 1911 gegründeten Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften.

2023 jährt sich zum 75. Male die Gründung der Max-Planck-Gesellschaft. Ihr Gründungsakt am 26. Februar 1948 in Göttingen war aber vor allem eine Umbenennung und Neuausrichtung ihrer Vorgängerorganisation, der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (KWG), die sich zu stark durch ihre Rolle während der Hitler-Diktatur belastet hatte. Nun wurde ein Neuanfang gesetzt und die Forschungsgesellschaft nach dem kurz zuvor verstorbenen international hoch angesehenen Physik-Nobelpreisträger und Vater der Quantenphysik Max Planck benannt.

Beim Festakt zum 75. Jubiläum der Max-Planck-Gesellschaft Ende Februar im Deutschen Museum in München wünschte ihr Präsident, Professor Martin Stratmann, dem Geburtstagskind „ein langes Leben, Mut, etwas aus den eigenen Gaben zu machen, die Fähigkeit, immer wieder spannende Wege jenseits ausgetretener Pfade zu suchen und zu finden und damit einhergehend ein gesundes Maß an Unangepasstheit, die Sehnsucht nach intellektueller Erfüllung und: Eine fast unersättliche Neugier”- also das, was er auch jungen Menschen mit auf den Weg geben würde.

Und Joachim Gauck, der frühere Bundespräsident, hob in seiner Rede hervor, dass Deutschland zwar arm an Rohstoffen sei, aber reich an Forschung, Ideen und Erfindergeist. Doch bevor etwas erfunden werden kann, brauche es Wissen, Daten und Fakten, die die Max-Planck-Gesellschaft mit ihrer Grundlagenforschung liefere.

Deutschland als Wissenschaftsnation

Heute ist die Max-Planck-Gesellschaft eine der vier großen Forschungsgesellschaften in Deutschland und eine tragende Säule des Wissenschaftssystems. Aber was waren die Ursprünge dieser erfolgreichen Wissenschaftsorganisation? Im deutschen Kaiserreich war Wissenschaft ein Thema von oberster Priorität, mit dem man Ruhm, Ehre, vor allem aber das Volkseinkommen des Vaterlandes mehren konnte. Die naturwissenschaftliche Grundlagenforschung hatte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf der ganzen Welt enorm zugelegt. Da sollte Deutschland mithalten  _ und Kaiser Wilhelm II. sah sich gern als Protektor der Wissenschaften.
Adolf von Harnack war Dogmenhistoriker, führender Vertreter der so genannten liberalen Theologe und universal gebildet. Kaiser Wilhelm II. hatte seine Berufung an die Berliner Universität unterstützt, Harnack wurde dort Rektor, kam in immer engeren Kontakt zum Kaiser und war seit 1907 dessen wichtigster bildungspolitischer Berater.

Die Naturwissenschaften befänden sich in Deutschland in einer Notlage, die bald „auch wirtschaftlich immer mehr Schaden mit sich bringe” warnte Adolf von Harnack. Diese Warnung und der Hinweis, nebst der Wehrkraft sei die Wissenschaft der zweite Pfeiler deutscher Größe, sorgten dafür, dass der säbelrasselnde Monarch bereitwillig seinen Namen einem neuen Verein lieh: der 1911 gegründeten Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften. Adolf von Harnack wurde ihr erster Präsident.

Bald versammelten sich in Berlin und anderen Städten einige der berühmtesten Wissenschaftler dieser Zeit, wie Albert Einstein, Fritz Haber oder der Chemiker und Entdecker der Kernspaltung Otto Hahn. Nach und nach entstanden unter dem Dach der Gesellschaft Institute mit unterschiedlicher Ausrichtung. Ganz auf ihr Forschungsprogramm konzentriert, gelangen Wissenschaftler hier spektakuläre Entdeckungen, die an Universitäten mit Lehrverpflichtung und schlechterer Ausstattung so wahrscheinlich nicht möglich gewesen wären.

Entdeckungen, die große Macht verleihen

So gelang Otto Hahn der Nachweis der Kernspaltung des Urans. Damit ebnete der Wissenschaftler unfreiwillig den Weg zur Atombombe. 1958 wurde Hahn gefragt, ob er die Versuche zur Atomspaltung noch einmal mache, wenn er vorher die Folgen seiner Entdeckung gekannt hätte. Hahns Antwort: „Wir würden heute wieder genauso vorgehen wie damals, unsere Versuche machen, weil wir eben das Neue erforschen wollen. Der Wissenschaftler hat der Wahrheit zu dienen.” Was mit seinen Ergebnissen geschehe, darauf habe der Wissenschaftler keinen Einfluss. „Aber ich darf daran erinnern, dass wir immer auf die Gefahren der Verwendung von Atom – und Wasserstoffbomben hingewiesen haben.”

1945 wurden die ersten Atombomben auf die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki abgeworfen. Hahn war tief bestürzt, hatte er doch mit seiner Forschung die Voraussetzungen für diese Katastrophe geschaffen. Zeitlebens setzte er sich dafür ein, dass die Wissenschaft dem Wohle der Menschheit dient und nicht gegen sie verwendet werden soll.  

Was die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft angeht, blieb diese keineswegs ein politisch unbelasteter „reiner Hort der Wissenschaft”, wo Wissenschaftler Grundlagen erforschen und die Anwendung ihrer Erkenntnisse anderen überlassen. Während des Ersten Weltkriegs erforschte man Möglichkeiten zur chemischen Kriegsführung mithilfe von Giftgas. Dafür steht etwa der Name des Direktors des Kaiser-Wilhelm-Instituts für physikalische Chemie und Elektrochemie Fritz Haber.

Noch serviler waren die Wissenschaftler während der Hitler-Diktatur: Jüdische Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen wurden massenhaft entlassen - darunter Lise Meitner, die in jahrzehntelanger Zusammenarbeit mit ihrem Chef Otto Hahn die Voraussetzungen für die Entdeckung der Kernspaltung des Uran gelegt hatte. Die Institute arbeiteten für den militärisch-industriellen Komplex des Dritten Reichs, beteiligten sich an der Entwicklung neuer Waffensysteme und chemischer Massenvernichtungswaffen, forschten an optimalen Flügel-Konfigurationen für Kampfflugzeuge und der deutschen Raketentechnik.

Verbrechen in der Wissenschaft

Außerdem arbeitete man an der wissenschaftlichen Legitimierung der nationalsozialistischen Rassentheorie, stellte Gutachter für Zwangssterilisationen und führte Menschenversuche durch. So hoffte Otmar von Verschuer, von 1942 bis 1948 Leiter des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik in Berlin, einen Bluttest entwickeln zu können, um die Rassenlehre der Nazis zu belegen. Dazu arbeitete er mit Josef Mengele zusammen, einem der übelsten Verbrecher des Nazi-Regimes, der als KZ-Arzt im Vernichtungslager Auschwitz mitverantwortlich für den Massenmord an hunderttausenden Juden war und bei Verschuer promoviert hatte. Mengele nahm Versuche an KZ-Häftlingen vor und schickte deren Blutproben an seinen Doktorvater. Adolf Butenandt, Nobelpreisträger und Direktor des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Biochemie, unterstützte Verschuers Projekt mit einem Mitarbeiter. Nach dem Krieg vertuschte Butenandt nicht nur seine Mitgliedschaft bei der NSDAP, sondern behauptete in einem der Nürnberger Folgeprozesse sogar, er habe nicht einmal den Namen Auschwitz gekannt.

Die Liste verbrecherischer Forschung an Kaiser-Wilhelm-Instituten ist noch länger. Erst in den 1990er Jahren wurde dieses Kapitel erforscht. Das mag mit den personellen Kontinuitäten zu tun haben, die die Zäsur zwischen Kaiser-Wilhelm- und Max-Planck-Gesellschaft überdauerten. Butenandt etwa wurde 1960 Präsident der Max-Planck-Gesellschaft.

Nach 1945 stand die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft nicht nur vor den Trümmern vieler ihrer Institutsgebäude, sondern auch vor einer schwer beschädigten Reputation. Die Amerikaner wollten die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft aufgrund ihrer militärischen Forschung auflösen. Die Briten dagegen wollten sie als westeuropäische Wissenschaftsorganisation erhalten und setzten dabei auf den 87 Jahre alten, international hoch angesehenen Max Planck, der politisch als einigermaßen unbelastet galt. 1946 übernahm Otto Hahn die Leitung. „Aber eine meiner ersten Erfahrungen als Präsident der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft”, berichtete Hahn später, „war die Mitteilung der Besatzungsmächte, dass der Name „Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft” verschwinden müsse, sonst sei an eine Genehmigung des Weiterbestehens der Gesellschaft nicht mehr zu denken.” Bei der Umbenennung wurde wiederum auf den Begründer der modernen Quantenphysik zurückgegriffen und nach zähem Ringen stimmten die Amerikaner zu.

Ein schwer belasteter Neuanfang

Der Neuanfang am 26. Februar 1948 in Göttingen war ein Neuanfang mit schwerem Gepäck, das noch lange ignoriert wurde. Erst 1997 setzte der damalige Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, Hubert Markl, eine Historiker-Kommission ein, die die Beteiligung einzelner Institute und Wissenschaftler der Kaiser-Wissenschaftler-Gesellschaft an der NS-Rassenforschung, an Menschenversuchen und am so genannten Euthanasieprogramm aufzeigt. Auf einem Symposion 2001 in Berlin wandte sich Markl direkt an die überlebenden Opfer: „Als deutscher Wissenschaftler empfinde ich Scham und Schuld und ich bitte Sie, stellvertretend für alle Opfer dieser Verbrechen, die Toten und die Überlebenden, ich bitte Sie um Verzeihung für das, was Ihnen angetan worden ist.”

Innerhalb der Max-Planck-Gesellschaft vollzog sich im Laufe der Jahre ein Transformationsprozess hin zu einer Konzentration auf eine auf friedliche Zwecke orientierte Grundlagenforschung. Dieser Transformationsprozess, anfangs eher von den Alliierten durchgesetzt, wurde im Laufe der Zeit immer mehr verinnerlicht.

Es kam nun zu Veränderungen, die Raum für Neues schufen. Am Institut für Chemie, wo in den 1930er Jahren die Kernspaltung entdeckt und vorwiegend kernphysikalische Forschung betrieben worden war, wandte man sich der Chemie der Erdatmosphäre zu - mit großem Erfolg. Denn der Niederländer Paul Crutzen, seit 1980 Direktor des Instituts, entdeckte die physikalischen und chemischen Grundlagen, die zur Entstehung des Ozonlochs führten. Für diese Arbeit erhielt er zusammen mit Mario J. Molina und Frank Sherwood Rowland 1995 den Nobelpreis für Chemie.

Wie weitreichend Crutzens Erkenntnisse waren, zeigt sich auch daran, dass er den Begriff des Anthropozäns etablierte. Damit gab Crutzen unserem Zeitalter einen neuen Namen. Durch seine jahrelange Forschung war für ihn klar: Der Mensch verändert das Erdsystem so umfassend, wie bislang nur Vulkanausbrüche, Erdbeben oder andere Naturkräfte. Diese Wechselbeziehungen zwischen Geosphäre und menschgemachten Systemen soll das 2022 neu benannte Max-Planck-Institut für Geoanthropologie in Jena in Zukunft erforschen.

Aufbau Ost auch in der Wissenschaft

Einen massiven Umbruch erlebte die Max-Planck-Gesellschaft im Rahmen der deutschen Wiedervereinigung, bildete diese doch auch für den Wissenschaftsbetrieb eine große Herausforderung. Die Forschungsinstitutionen der DDR sollten in die wissenschaftliche Struktur der Bundesrepublik überführt werden. Außerdem wurden, im Zeichen von „Aufbau Ost”, im Beitrittsgebiet innerhalb weniger Jahre neue Max-Planck-Institute gegründet  - ein veritables Finanzproblem, denn dieser Aufbau Ost konnte nur mit einem „Abbau West” funktionieren: indem also Mittel, die in den alten Bundesländern frei wurden, in Neugründungen in den neuen Bundesländern transferiert wurden. Innerhalb der Max-Planck-Gesellschaft lief das auf einen Verteilungskampf hinaus, ganz zu schweigen von dem Konkurrenzkampf zwischen den neuen Bundesländern nach dem Motto: „Wer bekommt welches Institut?” - so wie es dies auch vor der Wiedervereinigung zwischen den alten Bundesländern gegeben hatte.

Heute, 75 Jahre nach ihrer Gründung, scheint die Max-Planck-Gesellschaft die schlimmsten Stürme hinter sich zu haben - sieht man einmal vom alltäglichen Stress des Wissenschafts-Business ab. In der Politik mahnen die einen wie zu Zeiten Adolf von Harnacks und Wilhelms II, dass Deutschland den Anschluss an die internationale Spitzenforschung nicht verlieren dürfe, andere dagegen hinterfragen in Zeiten knapper Kassen den Sinn und Zweck öffentlich finanzierter Grundlagenforschung.

Dies sei das Legitimationsproblem der Grundlagenforschung und habe die Max-Planck-Gesellschaft und auch ihre Vorgänger-Organisation von Anfang beglei-tet, meinte Florian Schmalz, Historiker und langjähriger Leiter des Forschungsprogramms „Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft” am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte in Berlin, vor einiger Zeit gegenüber dem WDR. „Das Spannende an der Grundlagenforschung  ist ja, dass das eine Forschung ist mit einem hohen Risiko, auch scheitern zu können. Aber das Unvorhersehbare und das Neue dieses Wissens ist eben in der Regel eines, das in der Grundlagenforschung generiert wird.”

Grundlagenforschung pro und contra

Heute ist die Max-Planck-Gesellschaft Deutschlands erfolgreichste Wissenschaftsorganisation. An ihren 86 Instituten betreibt sie nicht nur in den Naturwissenschaften Grundlagenforschung, sondern auch in den Geistes- und Sozialwissenschaften. Die Forschung ist vielseitig.

Es geht darum, wie wir altern. Es geht um Tiere, die Vulkanausbrüche vorher spüren. Es geht um die Entschlüsselung unserer Gene. Die Struktur ist flexibel. Mitunter bekommen bestehende Institute aufgrund aktueller Forschungsfragen einen neuen Zuschnitt. Offenbar kein schlechtes Rezept, um sich als Nobelpreisträger-Schmiede immer wieder neu zu beweisen.

Reinhard Nixdorf

Max Plank

Als Begründer der Quantenphysik war Max Planck (geb. 23. April 1858 in Kiel, gest. 4. Oktober 1947 in Göttingen) einer der bedeutendsten Naturwissenschaftler des zwanzigsten Jahrhunderts. 1918 wurde er mit dem Nobelpreis in Physik ausgezeichnet. Ihm zu Ehren wurde nach dem Zweiten Weltkrieg die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft in Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften umbenannt.